• S.

    Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

     2 Mai 09

    Lieber Herr College

    Im Gedränge u auch in Folge der kleinen körper-
    lichen Leiden der letzten Monate habe ich 
    Ihre interessanten Briefe weniger gewürdigt, 
    als sie es verdienten. Ich will heute an einem 
    glücklich verregneten u gastfreien Sonntag 
    versuchen etwas zu repariren.

    Fälle wie den von Ihnen geschilderten kenne ich 
    auch, wenn ich die Ähnlichkeit richtig beurtheile. 
    Ich habe jetzt eine Frau, bei der Lues u das 
    daran Geknüpfte wegfällt, die aber durch die 
    eig. Unzugänglichkeit, die deutliche Überhebung 
    das endlose ausweichende Schwatzen mich an Ihren 
    Pat. erin̄ert u wol zu seinem Typus gehört. 
    Ich nahm sie seinerzeit wegen hy Symptome in 
    Behandlg, die aber alle auf leichte Organstörgen 
    u Empfindlichkeiten zurückzuführen waren. Alles 
    an ihr spricht eine befremdende obwol ähnliche 
    Sprache wie die uns vertraute, etwa wie wenn 
    ein des Spanischen Kundiger nach Portugal ver-
    setzt wird, wo er sich eigentlich doch nicht verständigen 
    kann.

    Sichere Auskunft kann ich Ihnen auch nicht geben. Bei 
    meiner Pat. besteht noch eine leichte Chance der 
    Auflösung durch Identifizirg mit einer meschuggenen 
    Mutter; groß ist sie nicht. Mir scheint auch, daß 
    diese Fälle der Paranoia anzuschließen sind, u 
    etwa im Querulantentypus ihre Vertretg 
    finden; auf die Gemeinsamkeit mit der Hypoch 
    weisen Sie gewiß mit Recht hin. Von dieser,

  • S.

    der Hypoch haben wir ja eine paranoische Abart 
    unterschieden. Der Querulant wäre ein sublimirter 
    Hypochonder. Wir wissen da noch zu wenig 
    u müßen sam̄eln u lernen, aber es sind gewiß 
    neue, bisher misverstandene Formen. Festzu-
    halten wäre, daß was wir verschiedene Krank-
    heitsformen heißen, eig. nur verschiedene 
    Ausgänge desselben Verdrängungs‑ u Ersatzbildgs-
    prozesses sind. –

    Mein Bruder, der Schenker persönlich kennt, 
    hat sich an ihn wegen der Kabinen auf der 
    Laura gewendet u hat noch keine Antwort. Ich 
    berichte Ihnen, sobald die Sache erledigt ist.

    Meiner Tochter geht es sehr gut, sie wird das 
    Sanator. in wenigen Tagen verlassen. Dann 
    geht meine Frau mit Sophie, die Gallenbe-
    schwerden hat, nach Karlsbad. Die Som̄er-
    probleme derzeit ungelöst, beschäftigen eben 
    die Discussion.

    Vielleicht hören Sie gerne, daß Deuticke 
    gestern die zweite Auflage der Sexualth. 
    verlangt hat. Zur dritten des Alltagslebens 
    werden Ihre Beiträge die wertvollste, 
    vielleicht die einzige Bereicherung beibringen.

    Ich grüße Sie herzlich u hoffe auf 
    Nachricht von Ihrem Vortrag.
    Ihr Freud

    P.S. Brill freut sich gerade auf Ihr Kom̄en 
    in wirklich aufrichtiger freundschaftlicher 
    Gesinnung.